SPD Nufringen

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Haushaltsrede der SPD-Kreistags-Fraktion zum Haushalts-Entwurf 2023

Veröffentlicht am 04.12.2022 in Kreistagsfraktion

Hier finden Sie die Haushaltsrede unseres Fraktionsvorsitzenden Dr. Tobias Brenner, unter diesem Link die Anträge der Fraktion zum Landkreis-Haushalt 2023.

21.11.2022
Dr. Tobias Brenner
Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrter Herr Landrat,

der von Ihnen eingebrachte Haushalts-Entwurf ist von den allseits bekannten Krisen - Corona, Klima, Ukraine - bestimmt und insofern ein „Krisen-Haushalt“. „Krise“ kommt von „krinein“, „unterscheiden“. Und in der Tat müssen wir „unterscheiden“, das heißt Prioritäten setzen. Vondaher, Herr Landrat, stimmen wir ihrer zentralen Haushaltsprämisse, nämlich Wichtiges vom weniger Wichtigen zu unterscheiden, zu, samt ihren „Haushalts-Begleitern“, dem „Risiko“ und der „Hoffnung“.

Richtig ist auch, uns dabei auf unseren Gemeinsinn zu besinnen. „Sensus communis“ oder „common sense“ bedeutet ja nicht nur Solidarität, sondern ebenso gesunder Menschenverstand. Und Zusammenhalten ist schlicht vernünftig, um Krisen zu bewältigen –gegen alle Spaltungsversuche rechter Rattenfänger und erregungsgesteuerter Medien mit ihren„Selbst-erfüllenden-Prophezeiungen“!

Vor allem das Land könnte für den Zusammenhalt mehr tun. Die grün-schwarze Landesregierung unternahm im Gegensatz zum Bund bisher nichts, wenngleich sie sich laut jüngsten Ankündigungen zu bewegen scheint. Dabei sitzt sie allein auf gut 5 Milliarden Mehrwertsteuer-Einnahmen aufgrund der gestiegenen Inflation. Die könnte sie an die Kommunen, etwa für die steigenden Aufwendungen der Flüchtlingsunterbringung und –betreuung oder einen Bus-Rettungsschirm, weitergeben!

Um es vorweg zu nehmen: Wir halten einen Kreisumlagehebesatz von 32,0 Prozentpunkten für vernünftig, angemessen und vertretbar, um einerseits unsere Aufgaben zu erfüllen und andererseits unsere Städte und Gemeinden, die vor ähnlichen Herausforderungen stehen, nicht zu überfordern – trotz der vom Landrat beschriebenen, nicht unerheblichen Risiken auf der Einnahme- und Ausgabenseite.

Mit die größten Herausforderungen liegen im Gesundheitsbereich: der Fachkräftemangel bei den Ärzten und in der Pflege einerseits sowie das steigende Defizit der Kliniken und die Kosten für das Flugfeldklinikum und die Ertüchtigung der Häuser in Leonberg und Herrenberg andererseits machen uns schwer zu schaffen.
Natürlich betrachten wir die exorbitanten Baupreissteigerungen mit Sorge, doch bleibt allen neunmalklugen Souffleuren von außen zum Trotz keine sinnvolle Alternative zum Flugfeldklinikum als modernem Zentralkrankenhaus. Wir stehen ebenso zu einer wohnortnahen Versorgung an allen unseren Häusern – Auch wenn wir unser Medizinkonzept aufgrund veränderter Rahmenbedingungen und einer Potentialanalyse fortentwickeln müssen.
Fast noch besorgniserregender ist das steigende Betriebsdefizit. Die externen Faktoren sind bekannt: Unzureichende Investitionszuschüsse seitens des Landes und das reformbedürftige Fallpauschalen-System sowie starre Mindestmengenvorgaben seitens des Bundes. Endlich scheint man dort die Reformbedürftigkeit des Fallpauschalen-Systems erkannt zu haben!
Wir können diese Rahmenbedingungen vor Ort nicht beeinflussen, doch zwingen sie uns zu einer Vertiefung des Verbundes zwischen Böblingen und Calw mit dem Ziel einer Fusion, um die komplexen Strukturen zu verschlanken und effektiver zu werden. Dazu gehört für uns ein klinikübergreifendes flexibles Personalmanagement, um endlich die enormen Kosten für Leasingkräfte zu reduzieren.

Einmal mehr sind die Steigerungen im Sozialbudget als größtem Kostenblock besonders frappierend.

Der demographische und der gesellschaftliche Wandel mit seiner Professionalisierung von Familienleistungen fordern ihren Preis. Nur zahlen den allzu häufig die Kommunen und nicht der Gesetzgeber!
Wir müssen uns im Blick auf gestiegene Leistungsansprüche schon fragen, was vernünftigerweise vom Staat und der Gesellschaft gefordert werden kann. Und nicht jedes gut gemeinte Gesetz, wie das neue Bundesteilhabegesetz (BTHG), lässt sich gut umsetzen.

Im Blick auf das Bürgergeld teilen wir Ihre – im Gegensatz zur Ausweitung des Wohngeldes - kritische Sicht, Herr Landrat nicht. Aber vielleicht haben Sie da auch etwas missverstanden: Es handelt sich – bei allen einzelnen Kritikpunkten - nicht um ein bedingungsloses Grundeinkommen, sondern neben dem Entfernen des Etiketts „Hartz IV“ wird dessen Regelsatz um 53 Euro angehoben. Das ist angesichts der allgemeinen Preisentwicklung nicht mehr als recht und billig.

Umsetzungsbedarf haben wir beim Schaffen bezahlbaren Wohnraums. Dass uns die Neubelebung des „Bündnisses für bezahlbaren Wohnraum“ ein besonderes Anliegen ist, ist bekannt. Wir begrüßen die Einbeziehung der Kreispolitik, der Städte und Gemeinden sowie der Träger der Freien Wohlfahrtspflege wie von uns letztes Jahr gefordert. Auch für unser„Wohnraumakquise-Modell“ versprechen wir uns dadurch neuen Wind. Deswegen beantragen wir, neue Modelle wie die Bürgerbaugenossenschaft in Ludwigsburg zu prüfen.
Zur Schwerpunktsetzung gehören für uns die begonnenen Investitionen in diesem Bereich. Vor allem mit dem Neubau für FORTIS e.V. können wir Menschen ein Angebot machen, die es auf dem freien Wohnungs-Markt mehr als schwer hätten und für die wir originär zuständig wären. Ebenso steht für uns die Verwirklichung des von uns seit langem geforderten Frauen- und Kinderschutzhauses außer Frage.
Auch die Erhöhung der Zuschüsse für die wichtige Arbeit der Familienbildungsstätten und bei„Familie am Start“ findet unsere Zustimmung, einschließlich der entsprechenden Personalaufstockung von einer Stelle.
Etwas mehr Engagement, Herr Landrat, wüschen wir uns bei unserem Ziel, ein „Haus des Jugendrechts“ zu schaffen und beantragen einen Bericht zur Realisierung. Es gehört zum pädagogischen Grundwissen, dass Konsequenzen auf ein Fehlverhalten zeitnah erfolgen müssen, wenn sie künftige Verhaltensänderungen bewirken sollen. Dem werden wir nur unzureichend gerecht. Deshalb ist das Haus des Jugendrechts unverzichtbar und gehört auf der Prioritätenliste ganz nach vorne.

Die Schülerzahlen an unseren Berufsschulen und die Resonanz des auf unseren Antrag hin initiierten Ausbildungsvorbereitungsganges „AVdual“ rechtfertigen den seitens der Verwaltung angestrebten Ausbau. Einen Aufwuchs erleben wir auch bei den Schulbegleitungen. Wir beantragen einen entsprechenden Bericht.

Wir stehen zum langfristig angelegten Schulbausanierungs- und Schulentwicklungsprogramm unter Einbeziehung bildungspolitischer und pädagogischer Entwicklungen, doch müssen wir die Umsetzung den sich ändernden finanziellen Rahmenbedingungen anpassen. Aber nach wie vor gilt: Eine gute Ausbildung ist zugleich die beste Wirtschaftsförderung und jeden Euro wert!
Wir unterstützen deshalb den Wachstumskurs des Herman-Hollerith-Zentrums, des Zentrums für Digitalisierung und des Projekts „AI Xpress“. Nicht außer Acht lassen dürfen wir in diesem Zusammenhang die Planungen zum „Quantum Garden“ als neuem Hochtechnologiestandort in Ehningen.
Wir beantragen, dass unsere Wirtschaftsförderung prüft, inwieweit wir in Vernetzung mit unseren bestehenden Strukturen die Ansiedlung vorn Startups aus den Bereichen Quantencomputing und KI unterstützen können.
Darüber hinaus brauchen wir einen Glasfaser-Netzausbau auf der Höhe der Zeit.

Demgegenüber halten wir den Aus- und Teil-Neubau des Landratsamtes nicht für vorrangig.

Was den Ausbau der Straßen angeht, ist die Zeit der Straßenneubauten vorbei. Unser Augenmerk liegt auf dem Erhalt des bestehenden Netzes, um es in einem guten bis mittleren Zustand zu halten - in Noten gesprochen: mit einer 2 vor dem Komma.
Unser integriertes Mobilitätskonzept mit seiner Vernetzung und Verzahnung der verschiedenen Verkehrsarten legt den Schwerpunkt zur Recht auf den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) und den Ausbau des Radwegenetzes.
Trotz des Einbruchs der Fahrgastzahlen durch die Corona-Pandemie dürfen wir Angebotsverbesserungen nicht „auf Eis legen“.
Wir begrüßen daher die Angebotsverbesserungen auf den bisherigen Nebenbahnen, der Ammertal-, Schönbuch- und Hermann-Hesse-Bahn – und nicht zuletzt die Potentialstudien zur besseren Anbindung Weil der Stadts, Leonbergs und Nagolds an den Stuttgarter Raum, einschließlich Metropolexpress.
Die noch ausstehende Zulassung der für die Schönbuch-Bahn bestellten Elektrofahrzeuge bleibt ein Ärgernis ersten Ranges.

Ernüchterung macht sich bei der Reaktivierung der Strohgäu-Bahn bis Weissach breit: Angesichts des vergleichsweise bescheidenen Kosten-/Nutzen-Faktors ist derzeit nur ein Offenhalten der Strecke für die Zukunft realistisch.
Notwendig ist und war unser VVS-weiter Rettungsschirm für unsere notleidenden Bus-Unternehmen.

Mit dem landesweiten 365-Euro-Jugend-Ticket haben wir einen Meilenstein erreicht. Das Ziel bleibt perspektivisch dessen Ausweitung auf andere Nutzer einschließlich eines Sozial-Tickets. Ein Meilenstein ist auch das avisierte 49-Euro-Ticket.
Wir beantragen, ein VVS-weites Symposion zu den Auswirkungen und zum Anpassungsbedarf hinsichtlich unserer Tarifstruktur anzuregen.

Im Blick auf die notwendige Dekarbonisierung unserer Wirtschaft bleibt unser Kompass dieNachhaltigkeitsstrategie des Kreises und das Ziel der Klimaneutralität bis 2035.
Beim Ausbau der erneuerbaren Energien sehen wir ebenfalls bei der Photovoltaik noch Potential, ebenso bei dem vom Landrat ausgegebenen Ziel, den Ausbau der Windkraft zu forcieren. Wir unterstützen daher den angedachten Windkraft-Koordinator.

Die Wasserkraft dürfte in unserem Kreis aufgrund der natürlichen Gegebenheiten eher eine ergänzende Rolle spielen – im Gegensatz zu ihrer Bedeutung beim Katastrophenschutz.

Bei der Abfallwirtschaft sehen wir nach wie vor noch Spielraum für eine größere Verbreitung der orangenen Wertstofftonne, um unser Bring-System zu ergänzen.
Ziel bleibt die Müllvermeidung als oberste Priorität. Und dann gilt es die Verwertung, vor allem die Trennung von recycelbarem und nicht recycelbarem Müll, zu verbessern.

Dass die trotz allem anfallende Restmüll-Verbrennung mit einer CO2-Abgabe belegt wird und ungeachtet fehlender Lenkungswirkung nur die Gebühren erhöht, wenngleich erst 2024, halten wir nicht für zielführend. Doch werden wir an einer moderaten Erhöhung der Müllgebühren nicht vorbeikommen.

Vom Konzept zur Klärschlammverwertung sind wir nach wie vor überzeugt und haben auch die Hoffnung, Energie in Form von Wasserstoff am Restmüllheizkraftwerk (RMHKW) speichern zu können.
Da unsere Hoffnung schwindet, dass im Blick auf die Deponie-Suche dieser Kreistag noch zu einer Entscheidung kommt, beantragen wir, zu prüfen, inwieweit damit die Region betraut werden kann, deren Zuständigkeit wohl eröffnet wäre.

Angesichts der erheblichen Haushaltsrisiken und des „Prinzips Hoffnung“ aufgrund der eingangs skizzierten Krisen verzichten wir dieses Jahr auf haushaltswirksame Anträge.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

 

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